COVID-19

Die Reaktion der sozialen Sicherheit auf COVID-19: der Fall Italiens

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Die Reaktion der sozialen Sicherheit auf COVID-19: der Fall Italiens

Italien war in der ersten Jahreshälfte 2020 eines der am stärksten von COVID-19 betroffenen Länder. Neben dem am 10. März verhängten allgemeinen Lockdown verfügten die Behörden weitreichende Maßnahmen der sozialen Sicherheit, um die gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise abzufedern. Schon früh wurden im März und April zwei Gesetzeserlasse („Cura Italia“ und „Liquiditätsdekret“) mit Notfallmaßnahmen verabschiedet, gefolgt im Mai von einem Gesetz („Wiederbelebungsdekret“), mit dem die Wirtschaft wieder angekurbelt werden sollte.

Die Landesanstalt für Arbeitsunfallversicherung (Istituto Nazionale per l'Assicurazione contro gli Infortuni sul Lavoro – INAIL) und die Landesanstalt für soziale Sicherheit (Istituto Nazionale Previdenza Sociale – INPS) haben sich bei der Aufrechterhaltung des Leistungs- und Dienstleistungsangebots sehr agil und flexibel gezeigt und schnell neue Maßnahmen eingeführt. Diese Reaktion wurde dadurch erleichtert, dass bereits vor der Krise in digitale Kundenkanäle investiert und neue, innovative Instrumente entwickelt worden waren.
Angesichts der anhaltenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten und der Anstrengungen zur Verhinderung einer zweiten Welle steht Italien nun vor der Herausforderung, das Niveau und den Umfang der Maßnahmen der sozialen Sicherheit an die unsichere und sich ständig weiterentwickelnde Situation anzupassen.

Maßnahmen der sozialen Sicherheit

Das italienische System der sozialen Sicherheit war ab März eines der wichtigsten Instrumente im Kampf gegen die sich schnell verschlechternde Lage. In allen Zweigen der sozialen Sicherheit wurden Maßnahmen ergriffen, die insbesondere auf eine Stützung der Reaktion des Gesundheitssystems, den Erhalt der Beschäftigung und den Schutz armutsgefährdeter Bevölkerungsgruppen ausgerichtet waren. Konkret wurden folgende Maßnahmen umgesetzt:

Ausbau des Gesundheitssystems: Für den nationalen Gesundheitsdiest wurden zusätzliche Mittel bereitgestellt, Gesundheitsfachkräfte eingestellt und neue Krankenhausabteilungen zur Behandlung von COVID-19-Patienten eingerichtet.

Beitragseinzug: Die Pflicht, Beiträge der sozialen Sicherheit zu entrichten, wurde von März bis Ende Mai ausgesetzt und die Frist zur Wiederaufnahme der Zahlungen später auf Mitte September verschoben. Diese Frist wurde zwar nicht weiter verlängert, die Arbeitgeber erhielten jedoch die Möglichkeit, ausstehende Beiträge in Raten zu zahlen.

Beschäftigungsförderung: Die Vorkehrungen zur Unterstützung von Arbeitgebern in finanziellen Schwierigkeiten wurden stark ausgeweitet.

Dazu gehörten insbesondere Systeme zur Lohngarantie, die bei Kurzarbeit eine Ausgleichszahlung anbieten. Im ersten Maßnahmenpaket wurden für den Zeitraum vom 23. Februar bis 31. August bis zu neun Wochen Ausgleichszahlungen gewährt. Angesichts der anhaltenden Wirtschaftskrise wurden im Mai weitere neun Wochen gewährt, von denen vier Wochen in der Zeit von September bis Oktober beansprucht werden mussten. Diese Einschränkung wurde später aufgehoben, und im Gesetzeserlass vom August wurden 18 zusätzliche Wochen mit Ausgleichszahlungen von Juli bis Ende Dezember 2020 erlaubt. In den ersten neun Wochen dieser zusätzlichen Zeit hat der Arbeitgeber keine Kosten zu tragen, wohingegen er sich bei einem fortgesetzten Bezug beteiligen muss.

Der Zugang zu diesen Lohngarantieleistungen wurde durch eine Veränderung des Auszahlungs-mechanismus erleichtert. Zuvor hatte die Landesanstalt für soziale Sicherheit den Arbeitgebern die an die Arbeitnehmer gezahlten Löhne zurückerstattet, doch nun konnten die Arbeitgeber eine direkte Auszahlung der Lohngarantieleistungen an ihre Angestellten beantragen. Zur Beschleunigung der Zahlung wurden eine Ausgleichszahlung für bis zu 40 Prozent der genehmigten Kurzarbeit innerhalb von 15 Tagen nach Antragstellung und der Rest nach Eingang aller erforderlichen Daten vom Arbeitgeber gezahlt.

Die Anstrengungen zur Beschäftigungsförderung durch Lohngarantiesysteme wurden dadurch ergänzt, dass kollektive und individuelle Entlassungen verboten wurden, für anfänglich 60 Tage und später für fünf Monate. Davon betroffen waren auch befristete Anstellungen und Zeitarbeitsverträge über Agenturen. Diese mussten mindestens bis nach Ende der Arbeitsunterbrechung aufgrund des allgemeinen Lockdowns verlängert werden.

Einkommensunterstützung für atypisch Beschäftigte: Saisonarbeiter, Selbständige und externe Mitarbeiter erhielten ab März für drei Monate einen pauschalen Unterstützungsbeitrag von 600 EUR. Für den Monat Mai wurde dieser Betrag für bestimmte Beschäftigtenkategorien auf 1 000 EUR erhöht. Außerdem erhielten Arbeitnehmer in atypischen Beschäftigungsverhältnissen, die keine Beiträge an das nationale System der sozialen Sicherheit leisteten, bis Ende April Zugang zu Krankengeld.

Ausbau von Elternurlaub und Familienbeihilfen: Die Unterstützung von Familien war eine Priorität während der Krise, und dazu gehörte insbesondere der Ausbau des Elternurlaubs. Durch das nationale System der sozialen Sicherheit gedeckte Angestellte und Selbständige konnten einen Elternurlaub von 15 Tagen geltend machen, der später auf 30 Tage verlängert wurde. Zudem wurden umfangreiche Mittel für Menschen mit Behinderung und für Familien mit behinderten Angehörigen bereitgestellt, und Gutscheine für Gesundheitsversorgungsleistungen wurden verteilt.

Anerkennung von COVID-19 als Berufskrankheit: Bei Ärztinnen und Ärzten, medizinischem Hilfspersonal und Angestellten des Nationalen Gesundheitswesens sowie bei Angestellten öffentlicher und privater Gesundheitseinrichtungen wird COVID-19 fortan offiziell als Berufskrankheit anerkannt. Dabei werden auch Fälle berücksichtigt, in denen es schwierig ist, die genaue Infektionsursache zu ermitteln. Außerdem ergriff die Landesanstalt für Arbeitsunfallversicherung verschiedene Initiativen zur Unterstützung von Gesundheitsfachkräften, darunter beispielsweise eine psychologische Betreuung.

Operative Maßnahmen und Aufrechterhaltung der Dienstleistungen der sozialen Sicherheit

Angesichts des allgemeinen Lockdowns mussten die Landesanstalt für Arbeitsunfallversicherung und die Landesanstalt für soziale Sicherheit schnell reagieren, um die Geschäftskontinuität sicherzustellen, Notfallmaßnahmen auf den Weg zu bringen und die öffentlichen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus zu unterstützen. Dank bestehender und neu entwickelter digitaler Dienstleistungen konnte der direkte Kundenkontakt verringert werden, und die angeordnete Telearbeit für die meisten Mitarbeitenden wurde erleichtert. Die Anstrengungen zur Kommunikation mit der Öffentlichkeit und zur Bereitstellung von Informationen über die Notlage durch verbesserte Online-Kanäle und Multimedia-Tools erwiesen sich als wichtiger Pfeiler in der Reaktion auf die Krise. Konkret führten die Institutionen der sozialen Sicherheit folgende operative Maßnahmen ein:

Telearbeit und Neuorganisation des Arbeitsumfelds: Die obligatorische Telearbeit wurde durch die Einrichtung eines Fernzugangs zum offiziellen E-Mail-Konto für alle Mitarbeitenden, die Verteilung von Laptops und die Einrichtung sicherer Internetverbindungen erleichtert. Für Mitarbeitende, deren Anwesenheit unabdingbar war, wurden die Büros umgestellt und an die Gesundheits- und Sicherheitsvorgaben angepasst.

Systematische Nutzung digitaler Dienstleistungen: Entscheidend für die Kontinuität der Dienstleistungen war, dass auf bestehende digitale Dienstleistungsportale mit entsprechenden persönlichen Konten für die Einreichung von Dokumenten und Anträgen zurückgegriffen werden konnte. Der Zugang zu diesen Online-Dienstleistungen wurde durch vereinfachte Identifikations-verfahren erleichtert und sodann auf die gesamte Bevölkerung ausgeweitet.

Schwerpunkt Kommunikation: Es wurden bedeutende Anstrengungen unternommen, um mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren und die Kunden über ihre Rechte im Kontext der Pandemie aufzuklären. Die Erstellung einer Liste von Antworten auf Frequently Asked Questions (FAQ) und die neu eingeführten Chatbots hatten zum Ziel, die Kunden über die digitalen Kanäle besser zu informieren. Telefondienste wurden ausgeweitet, damit sich auch Kunden ohne Zugang zu den digitalen Kanälen informieren konnten. Außerdem starteten die Anstalt für soziale Sicherheit und die Anstalt für Arbeitsunfallversicherung Kommunikationsinitiativen über verschiedene Multimedia-Tools und soziale Medien, um die Maßnahmen der Gesundheitsbehörden zur Eindämmung der Virusausbreitung zu unterstützen. Informations-Videos und einfache Anleitungen mit einzelnen Schritten wurden erstellt, in denen die Notfallmaßnahmen für die Öffentlichkeit anschaulich erklärt wurden.

Administrative und prozedurale Flexibilität: Verschiedene administrative und prozedurale Bestimmungen wurden gelockert, um die Verfahren zu vereinfachen, persönliche Kontakte möglichst zu vermeiden und die Leistungen auch bei einem allgemeinen Lockdown bereitstellen zu können. Dazu gehörte beispielsweise, dass für einige Anträge die Vorlage bestimmter Dokumente entfiel und einige Fristen ausgesetzt wurden.

Schlussfolgerungen

Italien war eines der ersten europäischen Länder, das sich gezwungen sah, einen allgemeinen Lockdown zu verhängen und Notfallmaßnahmen einzuführen, um die gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Krise einzudämmen. Das italienische System der sozialen Sicherheit war eine wichtige Säule in der Reaktion auf die Krise, und die Institutionen der sozialen Sicherheit haben schnell und wirksam auf eine bisher nie dagewesene Situation reagiert.

Nach der Bewältigung der schwierigsten Phase von März bis Mai stand Italien vor der Herausforderung, die Maßnahmen der sozialen Sicherheit an das anhaltend schwierige wirtschaftliche Umfeld, die weiterhin nötigen Einschränkungen und die große Unsicherheit bezüglich der weiteren Ausbreitung des Coronavirus anzupassen. Einige Maßnahmen der sozialen Sicherheit wurden verlängert, während andere beendet oder an die immer stärker divergierende Lage verschiedener Branchen und Bevölkerungsgruppen adaptiert wurden. Die soziale Sicherheit und die schnelle Reaktionsfähigkeit der Institutionen der sozialen Sicherheit sind in diesen unsicheren Zeiten weiterhin eine wichtige Stütze für die Gesellschaft.